Düsseldorf. Karneval ist ideal, um versteckte Wünsche zu ergründen. Das findet die Psychologin Gabriele Birnstein.
VON BRIGITTE PAVETIC – Rheinische Post
Die Diplom-Psychologin Gabriele Birnstein lebt seit 20 Jahren in Düsseldorf. Der rheinische Frohsinn gefällt ihr gut. Die Expertin für Lebenskrisen findet, dass Lachen immer befreit – und gerade im Rheinland sei der Humor einzigartig. Karneval sei ein Fest, bei dem viele Menschen gerne ihre versteckten Sehnsüchte ausleben wollten, und genau dadurch werden einige Paare auch auf eine harte Probe gestellt.

Hat das damit zu tun, dass Erotik und vielleicht auch ein Seitensprung in der Luft liegen?
Gabriele Birnstein: Für eine Beziehung sind die jecken Tage schwierig, wenn der eine den Karneval großartig findet und der andere damit nichts anfangen kann. Es fehlt das gegenseitige Verständnis, und dann wird auch schon mal ein Feierverbot verhängt oder bestimmte Einschränkungen verhandelt, wie zum Beispiel: er darf „Altweiber“ nicht raus, sie nicht allein auf den „Böse Buben Ball“ gehen. Eine harte Probe ist es für den, der zu Hause bleibt, während der andere ausgelassen abfeiert, das bedeutet fünf Tage schlimmes Kopfkino.
Einfacher ist es demzufolge sicher, wenn beide den Karneval lieben, wie ist das da mit der Treue?
Gabriele Birnstein: Es gibt keine Probleme, wenn beide sich wirklich einig sind und sich die gleichen Rechte zugestehen. Wenn sie ganz klar vorher besprechen, was erlaubt ist und was nicht. Zum Beispiel „bützen“ ist okay. Im Internet stand dazu eine launige Formulierung: Das echte Bützje ist immer freundschaftlich gemeint und Ausdruck karnevalistischer Freude und Frohsinns und sollte nicht verwechselt werden mit anderen Begehrlichkeiten. Für andere ist vielleicht auch noch das Rumknutschen tolerierbar, aber eine Bettgeschichte definitiv verboten. Und manche Paare geben sich für die 5. Jahreszeit einen kompletten Freibrief. In diesem Fall würde ich allerdings davon abraten, sich hinterher alles im Detail zu erzählen, sonst gibt es vielleicht nachträglich noch eifersüchtige Verstimmungen.
Man lässt sich auf eine Affäre ein, auch wenn sie nur von kurzer Dauer ist oder – wie so oft – einmalig, was tun?
Gabriele Birnstein: In den meisten Fällen löst eine Bettgeschichte, wenn man sie denn beichtet, auch eine ernsthafte Krise aus. Wenn die Beziehung das trotzdem aushält, wird die nächste Karnevalssaison allerdings mit wachsendem Misstrauen erwartet. Es gibt kein Patentrezept dafür, wie man mit einem Seitensprung umgehen sollte. Für den einen ist der Alkoholrausch eine ausreichende Entschuldigung, für den anderen nicht. Jeder muss damit leben können, was er oder sie im bunten Treiben so alles anstellt. Und jeder sollte damit rechnen, dass der Partner genau das Gleiche tun könnte. Das ist im Übrigen ein interessanter Aspekt, der vor manchem Leichtsinn bewahren kann.
Was gefällt Ihnen am Karneval?
Gabriele Birnstein: Mir gefällt besonders das „Gleichheitsprinzip“, das immer schon ein wichtiges Merkmal des Karnevals war: Alle sind gleich, es gibt keine Klassenunterschiede mehr. Banker und Straßenfeger begegnen sich einmal im Jahr auf Augenhöhe und feiern gemeinsam das Leben. Und alle dürfen sagen, was sie wollen. Bildlich manifestiert sich das sehr eindrucksvoll in den frechen und unzensierten, politischen Karnevalsskulpturen von Jacques Tilly im Rosenmontagszug, die liebe ich besonders.
Was sagt die Kostümwahl über das Psychogramm eines Menschen aus?
Gabriele Birnstein: Ganz grob unterscheiden sich die Jecken, die sich bis zur Unkenntlichkeit verkleiden, um sich im Schutz der Maskierung so richtig auszuleben. Und diejenigen, die Wert darauf legen, auch im Karnevalskostüm noch individuell erkannt zu werden. Wer aufwendige und selbstgebastelte Kostüme bevorzugt, erweist sich meistens als eingefleischter Karnevalist. Da ist das Entwerfen und Nähen der Klamotten schon aufregendes Vorspiel für die tollen Tage. Ihnen stehen die Last-Minute-Jecken gegenüber, sie werfen sich einfach ein Betttuch über, schminken das Gesicht weiß und die Augen kohlrabenschwarz und gehen als Geist. Oder sie setzen sich nur einen Hut auf wie ich. Superheroes wie Batman und Supergirl stecken fast immer in gekauften Kostümen. Im zotteligen Bären- oder Hasenfell, ebenfalls meist von der Stange, verbergen sich gern gemütliche Zeitgenossen mit der Lizenz zum Kuscheln. Sie sind klar im Vorteil, wenn es draußen ungemütlich kalt ist.
Was ist mit den Leuten in eher sexy Verkleidungen?
Gabriele Birnstein: Interessanterweise gehören die Leute, die sich immer nur schön, sexy oder cool verkleiden, nicht unbedingt zu den selbstbewußtesten Menschen. Piloten zum Beispiel stehen bei Männern hoch im Kurs. So ein Mann legt in der Regel größeren Wert darauf, als attraktiv wahrgenommen zu werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Polizisten, dem Kapitän oder General, denn Uniformen allgemein flößen vielen Menschen Respekt ein. Wer dagegen Mut zur Lächerlichkeit oder Hässlichkeit beweist – ein Clown, eine alte Hexe mit Warzen im Gesicht oder Shrek, das grüne Monster – da kann man meistens auch auf ein gesundes Selbstwertgefühl schließen. Diese Leute wollen hauptsächlich Spaß haben und suchen nicht unbedingt eine Affäre. Der Pilot, dessen Uniform komplett zerrissen ist wie nach einem Flugzeugabsturz, gehört auch in diese Kategorie. Das ist witzig und kreativ.
Was sind die sexy Kostüme bei Frauen?
Gabriele Birnstein: Extrem sexy sind alle Katzen, die stolze Indianerin, das coole Cowgirl, die Swat-Polizistin mit Handschellen und Schlagstock und natürlich alle Früchtchen, so nach dem Motto: Knabber mich an. Die Krankenschwester wird auch immer wieder gerne genommen, das weckt wilde Phantasien, ebenso die Stewardess und die heiße Hexe mit kurzem Röckchen und Zauberkräften. In Cross-Over-Kostümen wird alles, was schön bunt schillert und glitzert, wild zusammengemixt zu einem reinen Phantasie-Outfit. Beliebt und erotisch sind der weiße und der schön gefallene, schwarze Engel. Auch Teufelinnen und Vampirinnen haben ihren verbotenen Reiz. Prinzessinnen dagegen wollen immer nur schön sein und verwöhnt werden, während Elfen, Feen und andere Märchenfiguren wie Schneewittchen besonders die magischen Momente des Karnevals unterstreichen.
Was fasziniert Sie als Psychologin am Karneval?
Gabriele Birnstein: Wie total unterschiedlich Menschen diesem Phänomen begegnen: Man liebt ihn, man hasst ihn oder man nutzt ihn schamlos aus. Das Letztere ist die gefährlichste zwischenmenschliche Variante. Da wird die eigene Verkleidung, die ausgelassene und aufgeheizte Stimmung ausgenutzt, um sich hemmungslos zu betrinken und Sexabenteuer zu suchen. Das kann vom ungenierten Antatschen bis zum sexuellen Übergriff ausarten. Aber Karneval ist überhaupt keine Entschuldigung für unangebrachtes Verhalten.
Welchen Tipp haben Sie für die tollen Tage?
Gabriele Birnstein: Passt auf Eure Drinks auf, Vorsicht vor K.O.-Tropfen. Bleibt in kleinen Gruppen zusammen und lasst niemanden allein. Seid auch vorsichtig, wenn jemand schnell zudringlich wird, Ihr angefasst oder auf den Mund geküsst werdet. Man muss sich immer wohl fühlen und besonders auf die harten Schnäpse aufpassen, auch wenn die Bläck Fööss so schön singen: Trink doch einen mit, stell dich nicht so an.