Spieglein, Spieglein an der Wand

Wer ist die Schönste im ganzen Land? Viele Frauen verhalten sich genau nach diesem Märchen-Motto und der heimliche Konkurrenzkampf wird meistens über die Klamotten ausgetragen. Da geht ein Aufschrei durch die Medien, wenn zwei Stars im gleichen Designerfummel auf den roten Teppich spazieren. Das ist der Supergau in Sachen peinliche Momente. Warum eigentlich?

Diese Frage habe ich oft gestellt, und nie eine richtige Antwort erhalten: „Das geht gar nicht“ oder „nichts ist schlimmer“ und schließlich „da muss man einfach im Erdboden versinken!“ Aber nicht nur Stars und Sternchen geraten total aus dem Häuschen, wenn sie einer Frau im gleichen Gewand begegnen, die meisten Frauen reagieren hysterisch im Angesicht ihrer eigenen Garderobe am Körper einer fremden Frau.

Wie bei einem juckenden Hautausschlag möchten sie sich am liebsten die Kleider vom Leib reißen, um dieser Katastrophe zu entkommen. Dabei ist es nur ein schwacher Trost, wenn die Doppelgängerin nur halb so gut aussieht, weil sie „einen viel zu fetten Hintern für diese Edeljeans hat“. Irgendwie ist die Klamotte entwertet und mit ihr auch ein bisschen die eigene Person. Und das ist höchst beunruhigend, denn die eigene Persönlichkeit kann ja nicht von einer Jeans abhängen. Oder doch? So kommt es nicht selten auch zum Streit zwischen guten und besten Freundinnen, wenn das Thema Bekleidung nicht trennscharf abgestimmt wird. Ein Hauptvorwurf aus dieser Abteilung lautet: Meine Freundin kopiert mich, wie kann ich das verhindern? Verständlich ist ein Unbehagen, wenn sich jemand identisch anzieht, so als handle es sich um eineiige Zwillinge. Diese auch als „Partnerlook“ belächelte Bekleidungspanne ist allerdings selten Ursache für die Klagen.

Schon der nachgekaufte Pullover oder die gleiche Handtasche stressen die Frauenfreundschaften erheblich. Warum das so ist, bleibt rätselhaft: „ Eigentlich habe ich ja nichts dagegen, aber irgendwie doch…“ oder „sie muss sich ja nicht ausgerechnet meine Tasche aussuchen!“ Dass Millionen Menschen Jahr für Jahr der gleichen Mode folgen, wird dabei schlicht ignoriert oder einfach nur erfolgreich verdrängt.

Die häufige Unfähigkeit von Frauen sich gegenseitig ehrliche Komplimente zu machen, hat wahrscheinlich auch mit dieser uralten Kleiderkonkurrenz zu tun. Jedenfalls sind Frauen meistens total überrascht, wenn sie von einer Frau, die nicht zu ihrem Dunstkreis gehört, ein spontanes Kompliment bezüglich ihres Aussehens erhalten. Meistens fragen sie dann ganz ungläubig nach und gucken an sich runter: „Oh, wirklich?“ Bestnoten für ihr Äußeres erwarten Frauen in erster Linie von Männern, den eigenen und gern auch von einem Fremden. Anerkennende Worte von Frauen stoßen häufig auf verhaltenes Misstrauen. Vielleicht ist ja genau das Gegenteil des Gesagten gemeint? Einem Mann unterstellt eine Frau dieses tückische Verhalten nicht, wenn er seine Anerkennung kund tut, dann hat das seinen berechtigten Grund. Warum eigentlich? Vielleicht verfolgt er mit seinen schmeichlerischen Beschwörungen ja ganz andere, sehr egoistische Ziele? Zum Beispiel einen erotischen Abend mit gemeinsamer Übernachtung? Und das kann man einer Frau ja nicht unbedingt unterstellen, wenn sie ihre angebliche Konkurrentin neidlos lobt.