Früher war nicht alles besser – aber einiges schon!

Schluss machen per WhatsApp, ging nicht. Ghosting (also wortloses Verschwinden) bei Parship, Tinder oder irgendeiner anderen Kennen- oder Liebenlern-Plattform, keine Chance. Flirtportale? Gab es nicht. Das World Wide Web wurde erst 1989 erfunden.

Wir gingen samstags in die Disco, trafen dort Menschen aus Fleisch und Blut und suchten unter ihnen nach unserem Traumpartner. Danach hatten wir eine ganze Woche Zeit uns von dem missglückten Date zu erholen. Heute kann man sich Tag und Nacht über irgendwelche Idioten und Idiotinnen ärgern, die einem im weltweiten Netz über den virtuellen Weg gelaufen sind. Online scheint die Partnerauswahl für uns unerschöpflich und jederzeit ansprechbar – das macht nicht nur wählerisch (das waren wir früher auch), es macht vor allem unsicher, ob es nicht doch noch eine bessere Wahl gibt, als die von gestern. Was für ein Stress?!

Cybermobbing? Unbekannt. Böse Briefe schreiben, anrufen (ja, das Telefon war schon erfunden) oder persönlich beschimpfen, ansonsten hatte man keine Möglichkeit schlechtes Karma zu verbreiten. Bei letzterem musste man sich auch noch in die Augen schauen, konnte sich also nicht feige im Virtuellen verstecken und anonym aus diesem Hinterhalt angreifen. Und ganz wichtig: Kein Jugendlicher hat Selbstmord begangen, weil ihn Hetze und Hass seiner Mitschüler per Internet bis in sein Kinderzimmer verfolgt und dort weiter gequält haben!

Wer lieber gucken und wenig lesen möchte, tummelt sich heute auf Instagram, der Selbstverherrlichungs-Plattform für jedermann, ob prominent oder unbekannt. Sie illustriert das eigene Leben in seiner ganzen Banalität :„Mein Haus, meine Klamotten, mein Essen, mein Urlaub und bewirkt in vielen Fällen vor allem eines: Neid! Und den gab es früher auch schon „das Gras in Nachbars Garten war schon immer grüner…“, aber nicht so massiv angeheizt durch eine endlose und heftigst retuschierte Fotoflut. Zugegeben: Ich bin auch auf Instagram und nutze diese Plattform als persönliches Foto-Tagebuch, denn ich habe die Kontrolle über meine 63 000 Fotos verloren, bin unfähig angesichts der Masse an Bildern, sie noch vernünftig zu sortieren. Instagram hilft mir, mich zu beschränken. Und ja, nebenbei freue ich mich auch, dass mein ungefiltertes Leben von mittlerweile 600 Followern mit einem Herz bedacht wird.

Auch Selfies, die selbstverliebten Fotos, teilweise bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet, kannten wir damals nicht. Wir freuten uns über Fotos, die uns attraktiv, aber relativ realistisch zeigten. Heute dienen diese Ego-Shootings scheinbar auch als Existenzbeweis – ich mache ein Selfie, also bin ich! Auch Ferienbilder aus fernen Ländern werden immer mehr verschandelt durch Selfies, ich im Flugzeug, ich im Hotel, ich am Strand, ich auf dem Gipfel, als würde sonst keiner glauben, dass es tatsächlich mein Urlaub war. Kein Wunder, dass wir immer ichbezogener werden, bei dieser ständigen Selbstbespiegelung.

Es gibt heute so viele Möglichkeiten für alle und jeden, uns zu kritisieren und zu drangsalieren, niemand kann sich mehr sicher fühlen: SMS, WhatsApp, E-Mail, Facebook, Twitter, X etc. können zu scharfen Waffen im kommunikativen Miteinander werden. Auch ein Shitstorm kann jederzeit über uns hereinbrechen und uns überall erwischen: Zuhause, bei der Arbeit, unterwegs. Wir tragen ihn vielleicht gerade mit uns herum, in der Hand- oder Hosentasche – ein falscher Klick und der Tag ist im Eimer. Und das konnte uns früher so einfach nicht passieren!