Das Protokoll Für die Psychologin Gabriele Birnstein ist die Corona-Krise mittlerweile eine gnadenlose Geduldsprobe. Auf diese zunächst nicht enden wollende Phase sind wir alle in ihren Augen am wenigsten vorbereitet.
PROTOKOLLIERT VON BRIGITTE PAVETIC – Rheinische Post
Ich habe das Gefühl, mich in einer Endlosschleife zu befinden, Corona „all day long”. Natürlich bin ich dankbar, dass ich noch gesund und nicht existenziell bedroht bin, wie leider viele Menschen in dieser fast surrealen Zeit. Und ich bin froh, in einem Land zu leben, dass sich glaubwürdig anstrengt, das Richtige zu tun. Trotzdem merke ich, wie es mir zunehmend schwer fällt, sehr optimistisch in die nahe Zukunft zu blicken.
Morgens, wenn ich aufwache, denke ich manchmal, das ist alles gar nicht wahr. Die Nachrichten über Neuinfektionen, Todesfälle und Inzidenzen beweisen schnell das Gegenteil. Ich informiere mich täglich, allerdings nur morgens, damit die fiesen Corona-Viren nicht meinen Tag beherrschen oder mir nachts in die Träume folgen. Ich halte mich ganz streng an alle Hygieneregeln und vermeide Kontakte, wo es nur geht. Absolute Vorsicht ist für mich zur Zeit alternativlos.
Wir sind leider völlig unvorbereitet für diese gnadenlose Geduldsprobe der Corona-Pandemie. Viele Selbstverständlichkeiten sind weggebrochen, und Misstrauen gegen alle anderen Menschen als potentielles Infektionsrisiko ist quasi staatlich verordnet worden. Trotzdem sollen wir als Gesellschaft fest zusammenhalten, obwohl wir uns nicht einmal umarmen dürfen.
Wie wichtig mir das unbefangene menschliche Miteinander war und ist, merke ich bei jedem einzelnen Kontakt. Im Frühjahr dachte ich bei engen Freunden noch äußerst unlogisch, da wird schon nichts passie-ren, die kenne ich ja schon so lange. Jetzt halte ich aus Angst manchmal die Luft an, wenn mir Fremde ohne Maske in der Stadt zu nahe kom-men. Wir beanspruchen heute quasi eine eigene Atemhoheit, und viele Menschen reagieren sehr aggressiv, wenn der Abstand nicht stimmt. Man spürt eine veränderte Grund-timmung, eine latente Reizbarkeit, und das strengt an und macht auch traurig.
Mich nervt jeder Gang in die Stadt mit der wichtigen, aber lästigen FFP2-Maske. Im Park reiße ich mir die Filtertüte sofort vom Gesicht und schnappe nach Luft wie ein Karpfen an der Wasseroberfläche. Noch nie fand ich einen Atemzug an der frischen Luft so köstlich, noch nie habe ich Spaziergänge in der Natur so zu schätzen gewusst.
Ich kenne mittlerweile jeden Park in Düsseldorf, liebe den Nord- und den Südfriedhof mit seiner Vogelvielfalt, und der Grafenberger Wald ist mir ebenfalls bestens vertraut.
Meine Arbeit, das Coaching, habe ich in den weitläufigen Nordpark verlegt, nach dem Motto ,walk and talk” spaziere ich mit meinen Klienten durch die schöne Natur. Bei schlechtem Wetter telefonieren wir oder kommunizieren über Facetime, und das funktioniert viel besser als gedacht. Dabei haben sich die Themen etwas verändert: Zunehmende Einsamkeit bei Singles, zusätzlicher Streit bei Paaren zum Beispiel über ihre unterschiedliche Haltung bezüglich Corona – sie hat Angst, er findet die Hygieneauflagen übertrieben. Das ist unbekannter Sprengstoff selbst für sonst glückliche Beziehungen. Meine Empfehlung ist dann immer, demjenigen zu helfen, der Angst hat und darauf bitte Rücksicht zu nehmen.
Die große Gruppe der Alleinleben-den, ob gewollt oder nicht, ist durch die Pandemie besonders getroffen.
Ihnen fehlt der zwischenmenschliche Kontakt am allermeisten, und Telefon und alle anderen sozialen Medien verbreiten nun mal keine fühlbare körperliche Wärme. Aber sie helfen, den Kontakt nicht komplett abreißen zu lassen, miteinander in Verbindung zu bleiben. Hier fühle ich mich als Berater manchmal einfach hilflos, weil ich jetzt schon sehr lange keine besseren Lösungen mehr anzubieten habe. Die Telefonseelsorge verzeichnet einen Anstieg der Anrufe von 20 Prozent der Menschen, die stark unter Einsamkeit leiden.
Meine Klienten betonen häufig, dass sie sich eigentlich nicht beklagen dürften, da sie noch nicht krank und/oder pleite sind, und das sehe ich anders: Seelische Schmerzen, psychische Probleme richten sich nicht nach dem Geldbeutel der Betroffenen. Deshalb ist es sehr wichtig, darüber zu sprechen, Ängste zu benennen, seinem Ärger Luft zu machen, sich auszuweinen, das entlastet und hilft. Wir alle müssen lernen, diese unsicheren Zeiten auszuhalten, Geduld zu üben und die Zuversicht nicht zu verlieren. Und das ist manchmal richtig Arbeit.